Warum es sich lohnt, um Begriffe zu streiten

Institut für Angewandte Forschung| Nachricht vom 28.01.2025

Die Ludwigsburger Januargespräche zu Migration und Integration am 22/23.01 zum Thema „Migration und Remigration aus der Perspektive der Wissenschaften“

 

Auch in diesem Jahr war die Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen (HFV) Organisatorin der bereits in ihr zwölftes Jahr gehenden ‚Ludwigsburger Januargespräche Migration‘. Am 22. und 23. Januar diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zum Thema ‚Migration und Remigration – die Perspektive der Wissenschaften‘. Der Titel der Tagung weist darauf hin, dass es den Veranstaltern, Prof. Dr. Christian Majer und Prof. Dr. Jörg Dürrschmidt, darauf ankam, einen durch politische Vereinnahmung in Misskredit geratenen Begriff ausgewogen in interdisziplinärer und internationaler Perspektive zu hinterfragen. Das betonte auch die Rektorin der Hochschule, Dr. Iris Rauskala, in ihrem Grußwort und wies darauf hin, dass der Begriff in der Forschung seit langem in Gebrauch ist und das Phänomen der Remigration im Sinne von Rückwanderung eine lange Tradition hat.

 

Der erste Tagungstag widmete sich zunächst der sozialhistorischen Herleitung des Begriffs und des Phänomens ‚Remigration‘. Am Beispiel der Amerikaauswanderung machte Prof. Dr. Dürrschmidt deutlich, dass es eine Begriffsunschärfe gibt, da der Begriff als Synonym für sowohl Rückkehrmigration als auch nochmalige Migration oder Weiterwanderung steht. Zugleich wurde gezeigt, dass überzogene Erwartungen an Rückkehrmigration bezüglich Impulsgebung für gesellschaftlichen Wandel fehl am Platze sind. Denn die Migrationsforschung kann durchgängig zeigen, dass durchaus vorhandenes individuelles Innovationspotential im aufreibenden Prozess des Wiedereinfindens in einen nicht mehr vertrauten heimatlichen Alltag an Wirksamkeit verliert.

 

Daran anknüpfend legte Prof. Dr. Claudia Olivier-Mensah von der Internationalen Hochschule Mainz aus der Perspektive der Sozialpädagogik den differenzierten Blick auf die Motivlagen von Migranten und Migrantinnen im Kontext von Programmen der ‚freiwilligen Rückkehr‘. Sie zeigte, dass es ein breites und zum Teil widersprüchliches Spektrum an Beweggründen ist, das zur Einwilligung in diese Programme führt. Umso wichtiger ist es, die Betroffenen so zu begleiten, dass sie eine ‚Rückkehr in Würde‘ erleben. In der praktischen Umsetzung würde dies eine stärkere Verlagerung der professionellen Rückkehrbegleitung in die Herkunftsregionen bedeuten.

 

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive warf daran anknüpfend Dr. Yvonne Giesing nochmals die Frage nach intendierter und tatsächlicher Rückkehr mit Bezug auf ukrainische Kriegsgeflüchtete auf. Deutlich wurde aus den am ifo (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) gemachten Untersuchungen, dass Rückkehrabsichten von so unterschiedlichen Faktoren wie Partnerschafts- und Familienbindung, allgemeine Friedenschancen und konkrete Kriegssituation im Herkunftsdistrikt sowie der individuellen Ausstattung mit Human- und Sozialkapital abhängen. Gerade letzteres spielt auch eine Rolle in der Entscheidung für eine Rückkehr in die Ukraine oder die Ausrichtung auf eine Zukunft in Deutschland oder in einem anderen Land.

 

Aber auch die juristischen Implikationen der Remigration wurden untersucht: Prof. Dr. Majer wies in seinem Vortrag auf die Probleme des gewöhnlichen Aufenthalts – dem mittlerweile zentralen Anknüpfungsmoment im Internationalen Privatrecht – bei unvollständiger Remigration und Pendelmigration hin. Sodann erörterte er auch die juristischen Grenzen der erzwungenen Remigration, besser Rückführung – in diesem Sinn wird der Begriff in der aktuellen Debatte gebraucht. Die Ausbürgerung, Ausweisung und Abschiebung muss nach dem Grundgesetz auf individuelle Merkmale (Straftaten, verfassungsfeindliche Aktivitäten, Arbeitsmarktbeteiligung) abstellen, allein aufgrund der Herkunft oder der Religion sind sie nicht zulässig. Entscheidend ist also nicht, ob Remigration stattfinden soll oder nicht, sondern von wem. Eine Ausbürgerung ist abgesehen vom Sonderfall der durch Drohung, Bestechung oder Täuschung erwirkten Einbürgerung auch nur dann zulässig, wenn die Betroffenen noch eine andere Staatsangehörigkeit haben und Umstände von einigem Gewicht vorliegen.

Prof. Dr. Elisabeth Badenhausen-Fähnle thematisierte in ihrem Vortrag die aktuell im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden Fragen der Abschiebung nach Syrien und Afghanistan. Sie wies darauf hin, dass eine Entscheidung über den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung in den nächsten Wochen nicht zu erwarten sei und von der künftigen Entwicklung Syriens abhänge. Zudem müsse der Einzelfall betrachtet werden, je nach Herkunft, Religion und Geschlecht des Betroffenen muss unter Umständen künftig differenziert werden, da sich daraus unterschiedliche Verfolgungsgründe ergeben können (ansonsten wäre die Differenzierung nicht zulässig). Auf die Möglichkeit des Zweck- und Spurwechsels wies sie außerdem hin. Hinsichtlich Afghanistans sei die Rechtsprechung des EuGH zu beachten, die afghanischen Frauen besondere Schutzrechte zusprach.

 

Der zweite Tagungstag führte zunächst eine internationale Perspektive ein, welche die Türkei als Aufnehme- und Transitland in den Fokus nahmen. Dr. Altan Heper von der Özyegin-Universität in Istanbul erläuterte faktenreich die starke Flüchtlingsmigration in der Türkei der letzten Jahre vor allem aus Syrien, die Lage der Syrer in rechtlicher und faktischer Hinsicht sowie die politischen Implikationen und die Diskussion um ihre Rückführung in der türkischen Politik und Öffentlichkeit. Die Parallelen zur Debatte in Westeuropa und in den USA wurden so deutlich. Auch auf die aktuellen Entwicklungen im Syrien-Konflikt ging Dr. Heper ein. Bemerkenswert war eine von ihm zitierte Untersuchung, nach welcher die weit überwiegende Mehrheit der befragten Türkinnen und Türken wenig bis keine Ähnlichkeit der türkischen zur syrischen Kultur ausmachten.

 

Prof. Dr. Hendrik Hansen von der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung, Abt. Nachrichtendienste, widmete sich in seinem Vortrag jenen, die den Terminus ‚Remigration‘ heute üblicherweise mit konkreten politischen Ideologien koppeln, nämlich den Parteien im rechtspopulistischen und -extremen Spektrum. Er wies auf die dahinterstehende Ideologie des Ethnopluralismus hin, die auf die Vordenker der ‚konservativen Revolution‘ in der Weimarer Republik Bezug nimmt und eine Trennung verschiedener Völker mit jeweils eigener Identität proklamiere und sich damit vor allem gegen den Universalismus der Menschenrechte wende. Aufgrund dieser werde die Forderung nach Rückführung ganzer Volksgruppen erhoben, was – anders als die Betonung des Abstammungsprinzips im Staatsangehörigkeitsrecht – in der Regel als rechtsextrem angesehen werden muss.

 

Nochmals mit Türkeibezug wurde anhand von am Zentrum für Türkeistudien durchgeführten Untersuchungen gezeigt, dass sich die Migrationsbewegungen zwischen der Türkei und Deutschland sozialstrukturell ausdifferenziert haben. Caner Aver führte aus, dass insbesondere die bildungsaffine türkeistämmige Mittelschicht ein Migrationsmuster lebt, welches wenig mit der Zerrissenheit zwischen ‚hier‘ und ‚dort‘ im Kontext der ‚Gastarbeitermigration‘ der 60er- und 70er-Jahre zu tun hat, sondern vielmehr als ein transnationales ‚Pendeln‘ mit entsprechend ausgerichteter Netzwerkstrukturen beschrieben werden kann.

 

Die Tagung fand ihren Abschluss mit einer durch Dr. Günter Walzenbach, University of the West of England, vorgetragenen politikwissenschaftlichen Analyse des ‚Ruanda- Deals‘. Dieser steht demnach exemplarisch für den Versuch, Asylverfahren auszulagern und verfehlte europäische Migrationspolitik in ihren Konsequenzen zu externalisieren. Die Tagung profitierte von einem Insider Blick, der das ‚Politikversagen‘, das zur politischen Instrumentalisierung des Begriffs ‚Remigration‘ beiträgt, anhand der Entwicklungen im UK detailliert herausarbeitete.

 

Die Frage der Migration und damit auch der Rückkehrmigration ist eines der am meisten diskutierten Themen unserer Zeit. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, sich dem zu stellen und die Frage der Migration zu analysieren und zu diskutieren. Der Begriff der ‚Remigration‘ als Sammelbegriff trägt allerdings eine gewisse analytische Unschärfe in sich. Dies führt zum einen dazu, dass eine kontextsensible Analyse den Begriff oft zugunsten präziserer Begriffe wie ‚Rückkehrmigration‘, ‚Reemigration’ oder ‚Zirkuläre Migration‘ substituiert. Zum anderen bleibt er jedoch in der wissenschaftlichen Betrachtung ein gängiges Synonym für ‚Rückkehrmigration‘. Diskursverschiebungen in der Sphäre des Politischen und ein Missbrauch des Begriffs durch Rechtspopulisten und Rechtsextreme können nicht zur Konsequenz haben, den Begriff wissenschaftlich zu tabuisieren.